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Hormonersatztherapie: Was die neue FDA-Entscheidung für Frauen bedeutet

Tim Hollstein
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07.12.2025
Im November 2025 hat die US-Arzneimittelbehörde FDA angekündigt, die seit über 20 Jahren bestehenden pauschalen Black-Box-Warnhinweise für die menopausale Hormonersatztherapie (HRT) zu streichen. Dieser Artikel erläutert die Gründe für die Kehrtwende, ordnet die aktuelle Studienlage ein und erklärt, was das für Frauen in den Wechseljahren bedeutet.

Die Kehrtwende der FDA

Die Nachricht sorgte weltweit für Aufsehen: Die FDA plant, die prominenten Warnhinweise vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brustkrebs und wahrscheinlicher Demenz von den Verpackungen systemischer HRT-Produkte zu streichen [1]. Die Begründung: Diese Warnungen basierten maßgeblich auf den Ergebnissen der "Women's Health Initiative" (WHI)-Studie aus dem Jahr 2002, deren Resultate heute differenzierter bewertet werden. Die FDA argumentiert, dass die damalige Interpretation irreführend war, da die Studienteilnehmerinnen mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren bereits weit jenseits des typischen Menopausenalters waren und zudem Hormonformulierungen erhielten, die heute nicht mehr dem Standard entsprechen [1].

"Tragischerweise wurden Millionen von Frauen die lebensverändernden und langfristigen Gesundheitsvorteile der Hormonersatztherapie vorenthalten aufgrund eines medizinischen Dogmas, das auf einer Verzerrung des Risikos basiert."
— Dr. Marty Makary, FDA Commissioner
Dr. Marty Makary

Anstelle der pauschalen Warnungen sollen nun differenziertere Informationen treten, die eine individualisierte Nutzen-Risiko-Abwägung ermöglichen. Beibehalten wird jedoch der Warnhinweis bezüglich des Risikos für Gebärmutterkrebs (Endometriumkarzinom) bei einer reinen Östrogentherapie ohne Gestagenzusatz bei Frauen mit Gebärmutter.

Die Women's-Health-Initiative Studie und ihre Folgen

Um die Bedeutung der FDA-Entscheidung zu verstehen, ist ein Blick zurück unerlässlich. Im Jahr 2002 wurden die Ergebnisse der Women's-Health-Initiative (WHI)-Studie veröffentlicht, die eine ganze Generation von Frauen und Ärzten prägten. Die Studie schien zu belegen, dass eine kombinierte HRT das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und insbesondere Brustkrebs erhöht [2]. Die Folge war ein drastischer Rückgang der HRT-Verschreibungen weltweit und eine tief sitzende Verunsicherung.

Heute weiß man, dass diese Ergebnisse nicht pauschal auf alle Frauen übertragbar sind. Die entscheidende Erkenntnis der letzten Jahre lautet: Timing ist alles.

Arzt-Patienten-Gespräch über Hormonersatztherapie

Ein kritisches Zeitfenster für die HRT

Die moderne Forschung hat gezeigt, dass das Nutzen-Risiko-Profil einer HRT entscheidend vom Alter und dem Zeitpunkt des Therapiebeginns abhängt. Diese Erkenntnis wird als "Timing-Hypothese" oder "Window of Opportunity" (Gelegenheitsfenster) bezeichnet.

Zusammengefasst besagt sie:

  • Früher Beginn (innerhalb von 10 Jahren nach der letzten Menstruation, meist vor dem 60. Lebensjahr): In diesem Zeitfenster überwiegen die Vorteile die Risiken für die meisten gesunden, symptomatischen Frauen deutlich. Es zeigt sich nicht nur kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, sondern sogar ein potenzieller Schutz.
  • Später Beginn (mehr als 10 Jahre nach der Menopause oder nach dem 60. Lebensjahr): Hier kehrt sich das Verhältnis um. Bei einem späten Therapiebeginn überwiegen die Risiken, insbesondere für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Zahlreiche Studien untermauern diese Hypothese. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse der wichtigsten wissenschaftlichen Untersuchungen zusammen:

Studie / Analyse Jahr Kernergebnis im Kontext der Timing-Hypothese
DOPS-Studie [3] 2012 Bei frühem HRT-Start (Ø Alter 50) 52% Reduktion von Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder Tod nach 10 Jahren, ohne erhöhtes Krebs- oder Schlaganfallrisiko.
Cochrane-Metaanalyse [4] 2017 Hinweise auf ein günstigeres kardiovaskuläres Profil bei Frauen, die HRT kurz nach der Menopause beginnen, wobei die Datenlage aufgrund begrenzter Fallzahlen noch unsichere Schätzungen liefert.
Lancet-Metaanalyse [5] 2019 Das Brustkrebsrisiko steigt mit der Anwendungsdauer, ist aber bei Östrogen-Monotherapie deutlich geringer als bei Kombinationstherapien.
WHI-Neuanalyse (Rossouw et al.) [6] 2025 Bei Frauen 50-59 J. mit Hitzewallungen kein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko (HR ~0.85). Bei Frauen >70 J. hingegen ein stark erhöhtes Risiko (HR bis 3.22).

Nutzen und Risiken im Detail: Was die aktuelle Evidenz sagt

Basierend auf diesen Erkenntnissen ergibt sich heute ein sehr differenziertes Bild der HRT.

Herz-Kreislauf-System

Für Frauen, die früh mit einer HRT beginnen, ist die Angst vor einem erhöhten Herzinfarktrisiko unbegründet. Die dänische DOPS-Studie, eine randomisierte kontrollierte Studie (Goldstandard der Forschung), zeigte eindrucksvoll eine signifikante Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse [3]. Auch die jüngste Neuanalyse der WHI-Daten bestätigt, dass Frauen zwischen 50 und 59 Jahren, die aufgrund von Wechseljahresbeschwerden eine HRT einnahmen, kein erhöhtes Risiko für atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten [6]. Das Risiko für venöse Thrombosen kann, insbesondere bei oraler Einnahme, leicht erhöht sein, weshalb oft die transdermale Anwendung (über die Haut, z.B. als Gel oder Pflaster) bevorzugt wird.

Brustkrebs

Das Thema Brustkrebs bleibt der sensibelste Punkt in der Diskussion. Die Datenlage, insbesondere die umfassende Meta-Analyse aus dem Fachjournal The Lancet von 2019, ist hier eindeutig: Jede systemische HRT (außer rein vaginal angewendete Östrogene) ist mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko assoziiert, das mit der Anwendungsdauer steigt [5].

Allerdings gibt es auch hier wichtige Unterschiede:

  • Kombinationstherapie (Östrogen + Gestagen): Das Risiko ist hier deutlich höher. Nach 5 Jahren Anwendung schätzt die Studie einen zusätzlichen Brustkrebsfall pro 50 Anwenderinnen.
  • Monotherapie (nur Östrogen, für Frauen ohne Gebärmutter): Das Risiko ist erheblich geringer (ein zusätzlicher Fall pro 200 Anwenderinnen).

Es ist wichtig, dieses Risiko in Relation zu setzen. Andere Faktoren wie Übergewicht oder regelmäßiger Alkoholkonsum erhöhen das Brustkrebsrisiko in einer ähnlichen oder sogar stärkeren Größenordnung. Die gute Nachricht ist, dass das erhöhte Risiko nach Absetzen der Therapie über die Jahre wieder sinkt.

Demenz und Kognition

Die ursprüngliche Warnung vor einem erhöhten Demenzrisiko basierte auf der WHI-Gedächtnisstudie (WHIMS), die ausschließlich Frauen über 65 Jahre einschloss [2]. Für die eigentliche Zielgruppe der HRT – Frauen um die 50 – gibt es keine Evidenz für ein erhöhtes Demenzrisiko. Im Gegenteil, einige Daten deuten darauf hin, dass ein früher Östrogenersatz neuroprotektive, also nervenschützende, Effekte haben könnte, was aber noch nicht abschließend bewiesen ist. Die Streichung dieses Warnhinweises durch die FDA ist daher ein logischer und wissenschaftlich fundierter Schritt.

Frauen in den Wechseljahren - Gesundheit und Wohlbefinden

Was bedeutet das für mich?

Die Entscheidung der FDA ist kein Freifahrtschein für eine unkritische Anwendung der HRT, aber sie ist ein entscheidender Schritt hin zu einer entmystifizierten und individualisierten Medizin. Sie bestärkt Frauen und Ärzte darin, eine HRT als wirksame und bei richtiger Anwendung sichere Option zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden in Betracht zu ziehen.

Die wichtigsten Punkte für Ihr Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin:

  1. Symptome sind entscheidend: Eine HRT ist primär zur Behandlung von moderaten bis schweren Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen, Nachtschweiß, Schlafstörungen oder urogenitalen Problemen indiziert.
  2. Der Zeitpunkt ist entscheidend: Bei einem Alter unter 60 Jahre und/oder wenn die Menopause weniger als 10 Jahre zurückliegt, ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis höchstwahrscheinlich positiv.
  3. Die Anwendungsform ist wichtig: Eine transdermale Anwendung (Pflaster, Gel) hat im Vergleich zur oralen Einnahme (Tabletten) oft ein günstigeres Risikoprofil, insbesondere in Bezug auf Thrombosen.
  4. Die Art der Hormone ist wichtig: Es bestehen Unterschiede zwischen einer reinen Östrogentherapie (nach Entfernung der Gebärmutter) und einer Kombinationstherapie (bei vorhandener Gebärmutter), sowie die verschiedenen Gestagen-Typen.
  5. Die Dauer ist individuell: Die pauschale Empfehlung "so kurz wie möglich" ist überholt. Die Therapiedauer sollte sich an Ihren Symptomen und Zielen orientieren und jährlich neu bewertet werden.

Fazit

Die Neubewertung der Hormonersatztherapie durch die FDA markiert das Ende einer Ära der Verunsicherung. Sie rückt die Lebensqualität von Frauen in den Wechseljahren wieder in den Fokus und bestätigt, was viele Experten seit Jahren fordern: Eine differenzierte und auf wissenschaftlicher Evidenz basierende Betrachtung. Für Millionen von Frauen, die unter den Symptomen der Menopause leiden, bedeutet dies, dass sie gemeinsam mit ihren Ärzten eine informierte und angstfreie Entscheidung über eine wirksame und sichere Therapieoption treffen können.


Referenzen

1U.S. Food and Drug Administration (FDA). (2025, November 10). HHS Advances Women's Health, Removes Misleading FDA Warnings on Hormone Replacement Therapy. Link zur FDA-Pressemitteilung

2Rossouw, J. E., Anderson, G. L., Prentice, R. L., et al. (2002). Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results From the Women's Health Initiative randomized controlled trial. JAMA, 288(3), 321–333. Link zur WHI-Studie 2002

3Schierbeck, L. L., Rejnmark, L., Tofteng, C. L., et al. (2012). Effect of hormone replacement therapy on cardiovascular events in recently postmenopausal women: randomised trial. BMJ, 345, e6409. Link zur DOPS-Studie

4Marjoribanks, J., Farquhar, C., Roberts, H., & Lethaby, A. (2017). Long-term hormone therapy for perimenopausal and postmenopausal women. Cochrane Database of Systematic Reviews, (1). Link zum Cochrane Review

5Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer. (2019). Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. The Lancet, 394(10204), 1159-1168. Link zur Lancet-Studie

6Rossouw, J. E., Aragaki, A. K., Manson, J. E., et al. (2025). Menopausal Hormone Therapy and Cardiovascular Diseases in Women With Vasomotor Symptoms: A Secondary Analysis of the Women's Health Initiative Randomized Clinical Trials. JAMA Internal Medicine, 185(11), 1330-1339. Link zur WHI-Neuanalyse 2025