.jpeg)
Die Nachricht sorgte weltweit für Aufsehen: Die FDA plant, die prominenten Warnhinweise vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brustkrebs und wahrscheinlicher Demenz von den Verpackungen systemischer HRT-Produkte zu streichen [1]. Die Begründung: Diese Warnungen basierten maßgeblich auf den Ergebnissen der "Women's Health Initiative" (WHI)-Studie aus dem Jahr 2002, deren Resultate heute differenzierter bewertet werden. Die FDA argumentiert, dass die damalige Interpretation irreführend war, da die Studienteilnehmerinnen mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren bereits weit jenseits des typischen Menopausenalters waren und zudem Hormonformulierungen erhielten, die heute nicht mehr dem Standard entsprechen [1].
Anstelle der pauschalen Warnungen sollen nun differenziertere Informationen treten, die eine individualisierte Nutzen-Risiko-Abwägung ermöglichen. Beibehalten wird jedoch der Warnhinweis bezüglich des Risikos für Gebärmutterkrebs (Endometriumkarzinom) bei einer reinen Östrogentherapie ohne Gestagenzusatz bei Frauen mit Gebärmutter.
Um die Bedeutung der FDA-Entscheidung zu verstehen, ist ein Blick zurück unerlässlich. Im Jahr 2002 wurden die Ergebnisse der Women's-Health-Initiative (WHI)-Studie veröffentlicht, die eine ganze Generation von Frauen und Ärzten prägten. Die Studie schien zu belegen, dass eine kombinierte HRT das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und insbesondere Brustkrebs erhöht [2]. Die Folge war ein drastischer Rückgang der HRT-Verschreibungen weltweit und eine tief sitzende Verunsicherung.
Heute weiß man, dass diese Ergebnisse nicht pauschal auf alle Frauen übertragbar sind. Die entscheidende Erkenntnis der letzten Jahre lautet: Timing ist alles.
Die moderne Forschung hat gezeigt, dass das Nutzen-Risiko-Profil einer HRT entscheidend vom Alter und dem Zeitpunkt des Therapiebeginns abhängt. Diese Erkenntnis wird als "Timing-Hypothese" oder "Window of Opportunity" (Gelegenheitsfenster) bezeichnet.
Zusammengefasst besagt sie:
Zahlreiche Studien untermauern diese Hypothese. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse der wichtigsten wissenschaftlichen Untersuchungen zusammen:
| Studie / Analyse | Jahr | Kernergebnis im Kontext der Timing-Hypothese |
|---|---|---|
| DOPS-Studie [3] | 2012 | Bei frühem HRT-Start (Ø Alter 50) 52% Reduktion von Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder Tod nach 10 Jahren, ohne erhöhtes Krebs- oder Schlaganfallrisiko. |
| Cochrane-Metaanalyse [4] | 2017 | Hinweise auf ein günstigeres kardiovaskuläres Profil bei Frauen, die HRT kurz nach der Menopause beginnen, wobei die Datenlage aufgrund begrenzter Fallzahlen noch unsichere Schätzungen liefert. |
| Lancet-Metaanalyse [5] | 2019 | Das Brustkrebsrisiko steigt mit der Anwendungsdauer, ist aber bei Östrogen-Monotherapie deutlich geringer als bei Kombinationstherapien. |
| WHI-Neuanalyse (Rossouw et al.) [6] | 2025 | Bei Frauen 50-59 J. mit Hitzewallungen kein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko (HR ~0.85). Bei Frauen >70 J. hingegen ein stark erhöhtes Risiko (HR bis 3.22). |
Basierend auf diesen Erkenntnissen ergibt sich heute ein sehr differenziertes Bild der HRT.
Für Frauen, die früh mit einer HRT beginnen, ist die Angst vor einem erhöhten Herzinfarktrisiko unbegründet. Die dänische DOPS-Studie, eine randomisierte kontrollierte Studie (Goldstandard der Forschung), zeigte eindrucksvoll eine signifikante Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse [3]. Auch die jüngste Neuanalyse der WHI-Daten bestätigt, dass Frauen zwischen 50 und 59 Jahren, die aufgrund von Wechseljahresbeschwerden eine HRT einnahmen, kein erhöhtes Risiko für atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten [6]. Das Risiko für venöse Thrombosen kann, insbesondere bei oraler Einnahme, leicht erhöht sein, weshalb oft die transdermale Anwendung (über die Haut, z.B. als Gel oder Pflaster) bevorzugt wird.
Das Thema Brustkrebs bleibt der sensibelste Punkt in der Diskussion. Die Datenlage, insbesondere die umfassende Meta-Analyse aus dem Fachjournal The Lancet von 2019, ist hier eindeutig: Jede systemische HRT (außer rein vaginal angewendete Östrogene) ist mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko assoziiert, das mit der Anwendungsdauer steigt [5].
Allerdings gibt es auch hier wichtige Unterschiede:
Es ist wichtig, dieses Risiko in Relation zu setzen. Andere Faktoren wie Übergewicht oder regelmäßiger Alkoholkonsum erhöhen das Brustkrebsrisiko in einer ähnlichen oder sogar stärkeren Größenordnung. Die gute Nachricht ist, dass das erhöhte Risiko nach Absetzen der Therapie über die Jahre wieder sinkt.
Die ursprüngliche Warnung vor einem erhöhten Demenzrisiko basierte auf der WHI-Gedächtnisstudie (WHIMS), die ausschließlich Frauen über 65 Jahre einschloss [2]. Für die eigentliche Zielgruppe der HRT – Frauen um die 50 – gibt es keine Evidenz für ein erhöhtes Demenzrisiko. Im Gegenteil, einige Daten deuten darauf hin, dass ein früher Östrogenersatz neuroprotektive, also nervenschützende, Effekte haben könnte, was aber noch nicht abschließend bewiesen ist. Die Streichung dieses Warnhinweises durch die FDA ist daher ein logischer und wissenschaftlich fundierter Schritt.
Die Entscheidung der FDA ist kein Freifahrtschein für eine unkritische Anwendung der HRT, aber sie ist ein entscheidender Schritt hin zu einer entmystifizierten und individualisierten Medizin. Sie bestärkt Frauen und Ärzte darin, eine HRT als wirksame und bei richtiger Anwendung sichere Option zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden in Betracht zu ziehen.
Die wichtigsten Punkte für Ihr Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin:
Die Neubewertung der Hormonersatztherapie durch die FDA markiert das Ende einer Ära der Verunsicherung. Sie rückt die Lebensqualität von Frauen in den Wechseljahren wieder in den Fokus und bestätigt, was viele Experten seit Jahren fordern: Eine differenzierte und auf wissenschaftlicher Evidenz basierende Betrachtung. Für Millionen von Frauen, die unter den Symptomen der Menopause leiden, bedeutet dies, dass sie gemeinsam mit ihren Ärzten eine informierte und angstfreie Entscheidung über eine wirksame und sichere Therapieoption treffen können.
1U.S. Food and Drug Administration (FDA). (2025, November 10). HHS Advances Women's Health, Removes Misleading FDA Warnings on Hormone Replacement Therapy. Link zur FDA-Pressemitteilung
2Rossouw, J. E., Anderson, G. L., Prentice, R. L., et al. (2002). Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results From the Women's Health Initiative randomized controlled trial. JAMA, 288(3), 321–333. Link zur WHI-Studie 2002
3Schierbeck, L. L., Rejnmark, L., Tofteng, C. L., et al. (2012). Effect of hormone replacement therapy on cardiovascular events in recently postmenopausal women: randomised trial. BMJ, 345, e6409. Link zur DOPS-Studie
4Marjoribanks, J., Farquhar, C., Roberts, H., & Lethaby, A. (2017). Long-term hormone therapy for perimenopausal and postmenopausal women. Cochrane Database of Systematic Reviews, (1). Link zum Cochrane Review
5Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer. (2019). Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. The Lancet, 394(10204), 1159-1168. Link zur Lancet-Studie
6Rossouw, J. E., Aragaki, A. K., Manson, J. E., et al. (2025). Menopausal Hormone Therapy and Cardiovascular Diseases in Women With Vasomotor Symptoms: A Secondary Analysis of the Women's Health Initiative Randomized Clinical Trials. JAMA Internal Medicine, 185(11), 1330-1339. Link zur WHI-Neuanalyse 2025
