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Schilddrüse im Alter: Zu schnell zur Tablette?

Tim Hollstein
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24.11.2025
Bei Älteren wird oft eine latente Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert. Doch eine neue Studie zeigt: Bei 60% normalisiert sich der TSH-Wert von selbst. Erfahren Sie, warum Abwarten und Kontrollieren oft sinnvoller ist als der schnelle Griff zur L-Thyroxin-Tablette.

Es ist ein häufiges Szenario in der Hausarztpraxis: Bei einer Routine-Blutabnahme bei einem Patienten über 65 Jahren fällt ein leicht erhöhter TSH-Wert auf. Die Diagnose lautet oft „latente“ oder „subklinische“ Schilddrüsenunterfunktion. Häufig folgt prompt die Verordnung von L-Thyroxin, einem Schilddrüsenhormon, das die Betroffenen dann nicht selten lebenslang einnehmen. Doch ist dieser Automatismus immer sinnvoll? Eine aktuelle internationale Studie legt nahe, dass bei älteren Menschen Abwarten oft die bessere Strategie sein könnte.

Das „Problem“: Was ist eine subklinische Unterfunktion?

Eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) bedeutet, die Schilddrüse produziert zu wenig Hormone. Der Körper reagiert darauf, indem er die Hirnanhangdrüse anfeuert, mehr „TSH“ (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) zu produzieren. Das TSH ist quasi der „Gasbefehl“ an die Schilddrüse.

Bei einer subklinischen Unterfunktion ist dieser Gasbefehl (der TSH-Wert) zwar erhöht, die Schilddrüse selbst liefert aber (noch) genügend Hormone (das fT4 im Blut ist normal). Die Betroffenen haben oft keine oder nur sehr unspezifische Symptome. Das Tückische: Mit zunehmendem Lebensalter steigt der TSH-Spiegel von Natur aus leicht an. Das führt dazu, dass bei älteren Menschen sehr häufig eine subklinische Unterfunktion diagnostiziert wird – und die Zahl der L-Thyroxin-Verordnungen steigt.

Die neue Studie: Einmal hoch heißt nicht immer krank

Forscher wollten nun wissen, wie stabil diese Diagnose bei Menschen über 65 eigentlich ist. Die Ergebnisse einer großen Vergleichsstudie, die Tausende ältere Erwachsene einschloss, sind verblüffend:

Bei etwa 60 Prozent der Teilnehmer, bei denen ein einmalig erhöhter TSH-Wert festgestellt wurde, normalisierte sich dieser Wert innerhalb eines Jahres von ganz allein – ohne jede Therapie.

Die Forscher gingen sogar noch einen Schritt weiter: Selbst bei denjenigen, bei denen der Wert bei einer zweiten Messung nach 3 Monaten immer noch erhöht war (also eine "bestätigte" Unterfunktion vorlag), normalisierten sich die Werte im folgenden Jahr immer noch bei etwa 40 Prozent der Teilnehmer spontan.

Was lernen wir daraus? Abwarten statt sofort behandeln

Die Studie zeigt eindrücklich, dass ein leicht erhöhter TSH-Wert bei älteren Menschen oft nur ein vorübergehendes Phänomen ist und keine dauerhafte Erkrankung darstellt. Der Körper reguliert sich in vielen Fällen von selbst.

Die Autoren der Studie leiten daraus eine klare Empfehlung für die Praxis ab:

Ein einzelner erhöhter TSH-Wert ist bei älteren Menschen (>65 Jahre) noch lange kein Grund, eine L-Thyroxin-Therapie zu starten.

Die klare Empfehlung lautet: Kontrollieren statt behandeln. Ärzte sollten den TSH-Wert zunächst mehrfach kontrollieren, beispielsweise über einen Zeitraum von 3 bis 6 Monaten (die Studie empfiehlt mindestens 3 Messungen in Abständen von 2-3 Monaten). Erst wenn der TSH-Wert dann immer noch oder sogar weiter erhöht ist, sollte über eine Therapie nachgedacht werden.

Wichtiger Hinweis: Diese Ergebnisse gelten ausschließlich für die milde, subklinische (also symptomfreie oder symptomarme) Schilddrüsenunterfunktion bei älteren Menschen. Sie sind kein Freifahrtschein, eine bestehende Medikation eigenmächtig abzusetzen. Wenn eine manifeste (deutliche) Unterfunktion mit klaren Symptomen und schlechten Hormonwerten (niedriges fT4) vorliegt, ist eine Behandlung mit L-Thyroxin weiterhin notwendig und wichtig. Die Entscheidung für oder gegen eine Therapie muss immer individuell mit dem behandelnden Arzt getroffen werden.